17.09.2008 - Financial Times Deutschland - Lausitz statt Liechtenstein
Titel: "Lausitz statt Liechtenstein"
Quelle: Financial Times Deutschland
Datum: 17.09.2008
Autor: Antonia Götsch
Web: http://www.ftd.de
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Lausitz statt Liechtenstein
Von Fundraising profitieren nicht mehr nur altehrwürdige Gymnasien.
Immer mehr Schulen auf dem Land und in Problembezirken
sammeln bei Unternehmen und Mäzenen
Bisher hat Uwe Schwarz Zins- und
Rohstoffanlagen verkauft. Jetzt vermarktet
er eine Schule. „Man muss
schrill sein, um aufzufallen“, sagt er.
Heute startet Schwarz seine Fundraising-
Kampagne unter dem provokanten Motto
„Es muss nicht immer Liechtenstein sein“.
Der Aufruf richtet sich an Unternehmer. Sie
sollen ihr Geld nicht ins Fürstentum tragen,
sondern in die Lausitz.
Dort, im östlichsten Zipfel Brandenburgs,
gründen Schwarz und seine Frau gerade eine
Schule. Sie ist Lehrerin und für das pädagogische
Konzept zuständig – jahrgangsübergreifende
Gruppen, individuelles Lernen, Theater,
viel Bewegung. Er ist Regionaldirektor bei
der Commerzbank und kümmert sich um die
Schulfinanzen und das Marketing. „Das geht
man als Banker wohl strategischer an als viele
Pädagogen“, sagt Schwarz. Er präsentiert
seine Schule mit Powerpoint-Vorträgen und
lässt Hochglanzbroschüren drucken.
„Wir träumen davon, dass die Kinder nicht
mehr nach Hause wollen“, sagt Schwarz. Zuschüsse
für das Personal sind vom Land in
Aussicht gestellt. Durch sie und 135 € Elternbeitrag
pro Monat soll sich die Schule einmal
selbst tragen. „Man darf eine Schule nicht auf
Fundraising aufbauen“, sagt Schwarz. „Wir
schaffen es auch aus eigener Kraft, aber mit
jeder Spende können wir weitere Ausstattung
anschaffen oder Stipendien an Schüler ausgeben,
die sich das Schulgeld nicht leisten
können.“ In einer Region, in der 15 Prozent
der Erwerbstätigen keine Arbeit haben, ist allerdings
wenig zu holen. Schwarz hofft, dass
die Liechtenstein-Aktion auch außerhalb der
Lausitz Spender oder Stiftungen aufmerksam
macht. „Es gibt doch immer mehr Mäzene,
die sich für Bildung engagieren.“
Tatsächlich stehen die Chancen für private
und staatliche Schulen besser denn je, ihre
Budgets mit Fundraising aufzubessern. In
Nordrhein-Westfalen kooperieren bereits 63
Prozent aller weiterführenden Schulen mit
einem Betrieb und erhalten darüber Geld-,
Sach- oder Zeitspenden, wie eine Befragung
der Stiftung „Partner für Schule“ zeigt. Vor
vier Jahren waren es nur 39 Prozent. Viele
Schulen veranstalten Spendengalas, verkaufen
Kochbücher, Kunst oder die Stühle in ihren
Klassenzimmern. Das Dillmann-Gymnasium
in Stuttgart warb so 3 Mio. € für eine
neue Aula ein. Das Hamburger Gymnasium
Johanneum nutzte die 2 Mio. €, die zwei ehemalige
Schüler gaben, für den Start einer professionellen
Spendenstrategie. Die Schule
heuerte einen Fundraiser an und sammelte
2007 fast 300 000 €.
„Fundraising ist aber nicht nur für ehrwürdige
Gymnasien reserviert“, sagt Jens Uwe
Böttcher, Leiter des Forums Philanthropie an
der Uni Bremen. Bisher halten sich Schulen,
die in Problembezirken oder auf dem Land
liegen, oft zurück. „Gerade an Haupt- und Realschulen
gibt es einen Aschenputtel-Komplex.
Da denken Schüler und Lehrer, uns will
ja sowieso keiner.“ Dabei seien gerade Unternehmen
bereit, solche Aschenputtel zu unterstützen.
So unterhält die Deutsche Bahn deutschlandweit
Partnerschaften mit 38 Hauptschulen,
darunter die Rütli-Schule in Berlin-Neukölln.
Die Freudenberg-Stiftung, die aus dem
für seine Vileda-Wischtücher bekannten Unternehmen
Freudenberg hervorging, hat 1,5
Mio. € für den neuen Campus der Problemschule
zugesagt. Gute Chancen haben Schulen
bei mittelständischen Betrieben. Sie sind
in der Region verwurzelt und daran interessiert,
ihr Umfeld zu stärken. Der Armaturenhersteller
Dornbracht unterstützt deshalb
fünf Einrichtungen im Sauerland, darunter
eine Förder- und eine Hauptschule.
„Wichtig ist, dass sich eine Schule klarmacht,
was sie leistet und wer sie ist – sie muss
zur Marke werden“, sagt Fundraiser Uwe van
der Lely. Er gehört zu einer Handvoll Fundraisern
in Deutschland, die sich auf Schulen spezialisiert
haben. Derzeit
berät er mit seinen fünf
Mitarbeitern 22 Schulen,
auch das Projekt in der Lausitz.
„Jede Schule kann mit
dem richtigen Konzept einen
sechsstelligen Betrag
zusammenbekommen“, sagt van der Lely. Er
bietet Potenzialanalysen, untersucht Mitbewerber
und entwickelt Fundraisingtools. Ein
kleines Konzept für den Start bekomme er
über ein Schulfest finanziert, sagt van der Lely.
Für seine bislang umfangreichste Beratung
berechnete er 37 500 €. Die Ausgabe hat sich
für die Realschule gelohnt: 330 000 € kamen
binnen vier Jahren zusammen.
Für die Schule in der Lausitz erhofft sich
der Fundraiser noch mehr, schließlich soll
dort unter dem Namen „Schlausitz“ ein
Bildungscampus mit Kindergarten und Weiterbildungsakademie
entstehen. Und die
Gründer haben ein Jahr vor dem Start schon
einiges vorzuweisen: Zwei wunderschöne
alte Häuser, fast Schlösser, in der Gartenstadt
Marga in Senftenberg. Die Kommune hat 6
Mio. € für die Sanierung bereitgestellt. Innenausstattung
und Betriebskosten finanziert
das Ehepaar, bisher mit 25 000 € für ein
erstes Büro. Ein Fundraising-Ziel wollen
beide nicht benennen, nach oben sei alles offen.
„Es gibt so viele Ideen“, sagt Schwarz.
Eine Kindersauna, ein Filmstudio, ein Biotop.
Die Liechtenstein-Kampagne soll nur der
Auftakt sein. Mit Profi van der Lely hat das
Ehepaar schon weitere Aktionen ausgeheckt.
Auf Weihnachtsmärkten sollen Kinder singen
und für die Schule sammeln. Eigentlich nicht
weiter außergewöhnlich – wenn die kleinen
Engel dabei nicht Hasenohren tragen und
Ostereier verteilen würden. „Guerillamarketing“,
nennt das van der Lely. Man muss eben
schrill sein, um aufzufallen.